Sonntag, 13. September 2009

Die Medien, das Internet und die Glaubwürdigkeit

Das digitale Zeitalter setzt den “alten“ Medien schwer zu. Zeitungen und Fernsehstationen verlieren Leser, Zuschauer und Werber, unter anderem deshalb, weil immer mehr Medienkonsumenten finden, dass sie sich im Internet besser und präziser informieren können. Eines ist sicher: Einseitige, ungenaue oder unausgewogene Berichterstattung wird im Web gnadenlos aufgedeckt – wenn man weiss, wie man da zuverlässige Informationen finden kann.

Das Internet sei ein “Dschungel der Mittelmässigkeit“, voll von “Schwachsinn und Schrott“, gab kürzlich der Chef des grössten Schweizer Verlages, Michael Ringier, zum Besten. Man kann es ihm nicht mal übelnehmen. Ringier ist nicht der einzige Verleger, der versucht, seinen Laden digitaltauglich zu machen, bevor allzu viele Leser in den weitgehend kostenlosen, unendlichen Dimensionen des Web-Dschungels mehr Nutzen finden, als in den traditionellen Zeitungen. Weitaus grössere und angesehenere Zeitungen als der “Blick“ mühen sich ab, einen Weg zurück in die vor-digitale Profitabilität zu finden – die New York Times ist nur eines der zahlreichen illustren Opfer der neuen Realität. Gründe für die Einbussen der “alten“ Medien gibt es einige. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Gesellschaft immer stärker fragmentiert ist: Jede Interessengruppe hat ihren Blog, jeder Ideologe seine Video-Kolumne. Doch es gibt einen noch wichtigeren Grund: Das Internet zeigt gnadenlos auf, dass die Medien nicht ganz so genau sind, wie sie es sein möchten. Da lesen wir zum Beispiel heute im Tagesanzeiger:
“30'000 Menschen versammeln sich am Samstag in Washington, um gegen Barack Obamas Politik zu demonstrieren.“
30'000 ist eine ziemlich genaue Zahl. Trotzdem würde es dem Tagi wohl niemand übelnehmen, wenn sich herausstellen würde, dass es sich um 35'000 oder gar 40'000 Demonstranten gehandelt hätte. Umsomehr als die NZZ es nicht wagt, eine bessere Schätzung aufzustellen:
“Mehrere zehntausend Demonstranten haben in Washington gegen die Politik von Präsident Barack Obama protestiert.“
Unklar wird die Lage für jene User, die auch noch andere Zeitungen lesen – was dank Internet heute problemlos möglich ist. Zum Beispiel die britische Daily Mail:
“Up to two million people marched to the U.S. Capitol today […] as they protested the president's health care plan and what they say is out-of-control spending.”
Haben wir das richtig gelesen? Bis zu zwei Millionen Menschen waren da am Protestieren? Nicht nur 30'000, nicht “einige Zehntausend“? Ausser der Mail haben auch andere Medien von mehr als einer Million Demonstranten berichtet, neben zahlreiche Blogs auch eine der grossen US-Fernsehstationen. Doch die meisten Medien beliessen es bei der Formulierung von “einigen Zehtausend“ (“tens of thousands of conservative protesters“), auch nachdem klar geworden war, dass es sich eher um einige Hunderttausend gehandelt hat. Doch wie viele Demonstranten waren es denn nun wirklich? Eine kurze Google-Suche führt uns zu Charlie Martin, einem Computer Wissenschaftler aus Colorado, der die Zahl errechnen will:
"I did a back-of-envelope based on the photos and reports. A pretty dense crowd is about 1.8 people per square meter, and the National Mall alone is about 125 hectares, 1.25 million square meters. So that would be 2.3 million people…”
Ob es sich nun um 500’000, 1’000’000 oder 2’300'000 Demonstraten gehandelt hat, wissen wir nicht. Klar ist, dass es nicht 30'000 und auch nicht nur einige 10'000 waren. Was beweist: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser. Und das Internet macht’s möglich!

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